Nachdem Frieda und Ernst Bitter ihre Gaststätte im Dorf aufgegeben hatten, war die Gastwirtschaft „Zur Post“ für uns junggediente Soldaten am Wochenende buchstäblich zum zweiten Wohnzimmer geworden. Hier trafen wir uns jetzt regelmäßig zum Kartenspielen, zum Austausch von Neuigkeiten und um die Tanz-Aktivitäten für den Samstagabend zu planen. Natürlich saßen wir dabei nicht auf dem Trockenen und zu vorgerückter Stunde wurde das eine oder andere Soldatenlied gesungen, denn im Gegensatz zu heute, war das Repertoire der von uns erlernten Lieder äußerst umfangreich. So manches Mal erfreuten wir auf dem Heimweg dann auch das schlummernde Dorf mit „Marsch und Gesang“.
… soldatische Tugenden: „Trinkfest und sangesfreudig!“
(Der spätere Vorsitzende Peter Zipperle und der Reservistenführer Jo Kracht. )
Meistens saßen wir am runden Stammtisch in der hinteren Ecke des Lokals. Hier schloß sich auch das kleine Klubzimmer an, das man über drei Stufen und eine Schiebetür erreichen konnte. Wegen seiner erhöhten Lage wurde der Raum auch gern als „Kellerboden“ bezeichnet. Dort fanden in der Regel die Vorstandssitzungen der örtlichen Vereine statt und so blieb es dann auch nicht aus, daß man sich irgendwann nach Sitzungsende zu uns an den Stammtisch setzte. Insbesondere der Kriegerverein hatte ein besonderes Augenmerk auf uns junge Soldaten geworfen. Vorsitzender Ernst Gain, sein Stellvertreter Gustav Sauck, Kassenwart Heino Wilke und Schriftführer Bruno Neumann wurden bei diesen Gelegenheiten bald unsere Dauergäste. Sie waren natürlich gerne gesehen, denn wir wurden auf ihre Kosten sehr freigiebig mit Getränken versorgt. Mit dem Freibier kamen dann auch die ersten zaghaften Anwerbeversuche für eine künftige Vereinsmitgliedschaft. Bedingt durch das negative Image, das der Verein zu dieser Zeit hatte, war bei uns jungen Leuten die Resonanz gleich Null und der Kriegervorstand zog jedes Mal unverrichteter Dinge von dannen.
….und aus Alt wird Neu!
Etliche Monate gingen ins Land, mittlerweile wurden die Gespräche aber intensiver geführt und sehr viel konkreter, insbesondere was unsere Vorstellungen betraf. Seitens uns junger Soldaten schälte sich dabei ein Kader heraus, der hauptsächlich aus den Kameraden Adolf „Ata“ Grönecke, Günther Schlender und Joachim Kracht bestand. Wir formulierten die Voraussetzungen, die erst erfüllt sein müßten, bevor wir ernsthaft über eine Mitgliedschaft nachdenken würden. Im Wesentlichen ging es um die Umbenennung des Kriegervereins in Krieger- und Soldatenkameradschaft, die Vorstandsmitgliedschaft des Kamerad-schaftsführers der Jungkameraden (Reservistenbetreuer), das Tragen einer eigenen Uniform mit gesonderter Kopfbedeckung (Barett), die Kontaktaufnahme mit der Bundeswehr für militärsportliche Wettkämpfe (Milipat) und die Organisation und Durchführung von Orientierungs-märschen sowie Orientierungsfahrten. Daraufhin wurden wir alle drei 1973 zur Jahreshauptversammlung der Kriegerkameradschaft eingeladen, damit wir dort den anwesenden Vereinsmitgliedern unser Anliegen vortragen und aufkommende Fragen beantworten konnten. In der Versammlung bestand anfangs Skepsis gegenüber solchen gravierenden Umwälzungen aber Karl Thiele konnte in einer flammenden Ansprache die meisten Kameraden davon überzeugen, daß dieses der einzige Weg sei, um die Kriegerkameradschaft vorm baldigen Aussterben zu bewahren.
Ein Neuanfang ....
Im Januar 1974 wurde ich erneut als Gast zur Generalversammlung eingeladen und konnte mich persönlich davon überzeugen, in wieweit die erforderlichen Änderungen in Angriff genommen worden waren. Die Umbenennung des Vereins stand unmittelbar bevor und auch alle anderen Erfordernisse sollten kein Hindernis mehr darstellen. Beim Jahresappell 1975 der neuen Krieger- und Soldatenkameradschaft Woltersdorf von 1885 konnten dann 20 neue Mitglieder begrüßt werden und zwar die Kameraden:
Bei dieser Versammlung wurde ich in das neugeschaffene Amt des Kameradschaftsführers der Jungkameraden gewählt. Meine erste Aufgabe bestand in der Vorbereitung zur Vereinsteilnahme am „Spiel ohne Grenzen“, das 1975 – zu Gunsten der Aktion Sorgenkind – erstmalig in Woltersdorf stattfinden sollte. Dies war für uns eine willkommene Gelegenheit, um den neustrukturierten Verein einer breiten Öffentlichkeit zu präsentieren. Dafür besorgte ich beim Militärausrüster RÄER in Hildesheim kanadische Fliegerjacken und schwarze Barette, bei FAHNEN-FLECK in Schleswig-Holstein ließ ich neue Ärmelabzeichen anfertigen und erstand dort die Barettabzeichen. Da in der Vereinskasse zu diesem Zeitpunkt Ebbe herrschte, mußte ich für diese Dinge persönlich in Vorkasse gehen.
Aber alle Mühen und Plagen waren schnell verflogen, gemessen an dem Erfolg, den unser Auftreten beim großen Ummarsch hatte, der von allen teilnehmenden Vereinen und Institutionen am Festtag durchgeführt wurden. Etlichen Zuschauern blieb bei unserem Erscheinen buchstäblich der Mund offen stehen, zumal sie uns in den neuen Uniformen überhaupt nicht zuordnen konnten. Um so größer das Erstaunen, daß es sich hierbei um die neue/alte Krieger- und Soldatenkameradschaft Woltersdorf handelte. Wir Jungkameraden hatten uns direkt hinter der Fahne platziert, dahinter folgten die älteren Mitglieder mit Kameradschaftsmütze und in dunklem Anzug. Den Abschluß bildete ein mit Eichenlaub geschmückter Festwagen, auf dem die verdienten Ehrenmitglieder Platz genommen hatten. Ein großes Banner, das seitlich angebracht war, verkündete das zukunftsweisende Motto unseres Vereines, nämlich:
„Das Alte erhalte, das Neue gestalte!“
Die „neue“ Krieger- und Soldaten-Kameradschaft Woltersdorf beim 1. öffentlichen Auftritt 1975