Grundwehrdienst1

Erinnerungen an meine Wehrdienstzeit

aufgeschrieben von Joachim Kracht

(Fotos: Funker R.-R. Damm und J. Kracht)

Der erste Tag

Es war ein kalter Wintermorgen, mit dem sich der 4. Januar 1966 zeigte. Meine Mutter hatte mich kurz nach 4 Uhr wachgerüttelt, mit den Worten: „Junge – es ist soweit. Heute beginnt der Ernst des Lebens.“
Wir wohnten zu dieser Zeit auf einem nicht mehr bewirtschafteten Bauernhof, der schräg gegenüber der Kapelle in der Dorfstraße lag. Der eigentliche Besitzer, Albert Lippe, wohnte in Kl. Breese und hatte die Gebäude dieser Hofstelle in Woltersdorf an mehrere Flüchtlingsfamilien vermietet.
Aus einem, zur provisorischen Garage umfunktionierten Holzschuppen, hörte man schon unseren Nachbarn, den Posthauptschaffner Ernst Gain fluchen, der unter Mühen versuchte, seinen fahrbaren Untersatz und ganzen Stolz, einen „Lloyd Alexander TS“ in Gang zu bringen. Er hatte sich angeboten, mich an diesem Tag mit nach Lüchow zu nehmen, wo ich dann auf dem Lüchower Großbahnhof meine lange Reise mit dem Triebwagen der Deutschen Bundesbahn beginnen konnte.
Ausgerüstet mit wenig Gepäck, einem Freifahrtschein und dem Einberufungsbescheid der Bundeswehr, auf dem stand, daß ich mich bis spätestens 17 Uhr bei der Fernmeldeausbildungskompanie 601 in der Eiderkaserne in Rendsburg in Schleswig-Holstein zu melden hätte, ging es dann in Richtung Lüneburg. Dort hieß es umzusteigen in den Eilzug nach Hamburg-Altona. Von hier aus ging es mit einem Personenzug nach Neumünster und dann mit dem Bummelzug nach Rendsburg, wo ich dann endlich am Nachmittag eintraf. Da mir noch einige Zeit blieb, nutzte ich die Gelegenheit zu einem kleinen Stadtrundgang. Den Besuch einer Gaststätte verkniff ich mir ganz schnell als ich bemerkte, daß überall Soldaten mit der Armbinde “STREIFE” unterwegs waren und die Kneipen durchkämmten, in denen meine Leidensgenossen und künftige Kameraden die Wartezeit bis zum Kaserneneintritt überbrücken wollten. Den dort Aufgegriffenen machte man recht deutlich klar, daß sie bereits seit Mitternacht Rekruten waren und kassierte sie ein. Um nicht das gleiche Schicksal zu erleiden, begab ich mich nun auf direktem Weg zur Eider-Kaserne.

Das ursprüngliche Hauptgebäude der Eiderkaserne in Rendsburg,
erbaut um die Jahrhundertwende als Feldartillerie-Kaserne.

(70 Jahre später genutzt vom Fernmeldebataillon 610. Im rechten Gebäudeteil war
dann zu meiner Zeit die Fernmeldeausbildungskompanie 601 und im linken Teil die
3. Kompanie (Tastfunker/Schlüssler) des FmBtl-610 untergebracht.)

Kasernentor mit Wache
(Im Hintergrund rechts ragt der rechte Flügel des historischen Kompaniegebäudes hervor.)

Blick vom Rendsburger Paradeplatz auf die Kasernenzufahrt
Der Marktplatz von Rendsburg

Im Geschäftszimmer der Ausbildungskompanie wurden alle Neuankömmlinge erst einmal registriert und dann hieß es: „Vor dem Kompaniegebäude sammeln!“
Damit begann dann das lange Warten auf die letzten Nachzügler, was aber irgendwann abgebrochen wurde. Einige hatten es wohl doch vorgezogen, lieber zu Hause zu bleiben.
Als das Kommando ertönte: „In Linie zu drei Gliedern – der Größe nach – antreten!”, brach das große Gewusel aus. Wer wußte von uns schon, was eine Linie sein sollte und welche drei Glieder gemeint waren. Unter lautem Geschrei einiger uniformierten Soldaten – die sich dann später als unsere Ausbilder herausstellten – kam langsam Ordnung in das Chaos.
Immer 12 Mann von uns wurden zu einer Gruppe zusammengefaßt und bekamen in dieser Zusammensetzung eine Stube im Kompaniegebäude zugewiesen. Drei Gruppen bildeten einen Zug und drei Züge die Ausbildungskompanie.
Nach dieser Formalie wurden wir gemeinsam zum Abendessen geführt. Es gab Bratkartoffeln mit Grünkohl und geräucherter Schweinebacke. Ich erinnere mich deshalb so genau daran, weil das Schwein unrasiert zum Dienst erschienen war – der langen Borsten wegen. Danach durften wir die erste gemeinsame Nacht noch in unseren privaten Schlafanzügen verbringen, denn die Einkleidung erfolgte erst am nächsten Tag.
Anmerkung: Der Rekrut Hildebrand war einer der wenigen, die mit ihrem Privat-Pkw anreisten. Sinnigerweise stellte er seinen Kleinwagen der Marke „Lloyd“ auf dem Parkplatz des Kompaniechefs der Ausbildungskompanie ab. Damit war sein Bekanntheitsgrad bei allen Ausbildern für das kommende Vierteljahr gesichert.

Stubenunterricht mit dem Gefreiten Fokuhl
(und den Funkern Freitag, Kruse, Kahl, Bruns, Kracht, Wargenau, Boysen, Gildehaus)

Neben der Ausbildung im Freien, bzw. im größeren Rahmen im Kompanielehrsaal, wurde ein besonderer Schwerpunkt auf den sogen. Stubenunterricht gelegt. Hierbei waren insbesondere die Gruppenführer (Unteroffiziere ohne Portepee – also Uffz´e und StUffz´e) gefordert. Jedem Gruppenführer stand als Stellvertreter ein Hilfsausbilder zur Seite, meist ein Gefreiter.“

„3. Gruppe des I. Zuges beim Waffenreinigen!“

Obige Meldung wurde ausnahmsweise nicht durch das sonst übliche Achtung-Gebrülle eingeleitet, wenn ein Vorgesetzter unsere Stube betrat; beim Waffenreinigen durften wir dann sogar sitzen bleiben. Ansonsten war diese Tätigkeit nicht sehr beliebt, denn bei der Sauberkeitskontrolle war der Anschiß stets obligatorisch.

… auch 30 Jahre zuvor schien man nicht sehr begeistert zu sein.
(Wie sich die Bilder doch gleichen.)

Auf dem Truppenübungsplatz Krummenort
(Nach der Geländeerkundung, bäuchlings)

Unsere Infanteriegefechtsausbildung (kurz IGA genannt) war zu dieser winterlichen Jahreszeit bestimmt kein Zuckerschlecken. Das Übungsgelände Krummenort, das ca. 6 km von unserer Kaserne entfernt lag, wurde unser neuer Spielplatz. Während wir Rekruten das Hinlegen und Aufstehen üben durften und uns beim Erkunden des Geländes in niedrigster Gangart die Koppelschlösser blank scheuerten, vergnügte sich ein Teil unserer Ausbilder und die Zugführer auf selbst angelegten Schlitterbahnen. Einige von ihnen hatten sogar Schlittschuhe dabei.“

Unser Gruppenführer, Uffz Tams, mit BBH
(steht für Blend-Brand-Handgranate)

An diesem Tag stand “Panzernahbekämpfung aller Truppen” auf dem Programm, und wir wurden in die Geheimnisse eingewiesen, wie man einen Feindpanzer auch ohne Panzerfaust gefechtsunfähig macht. Unser größtes Interesse galt, neben dem anderen Schnickschnack mit BBH und Handflammpatrone, dann doch eher der Herstellung und Anwendung sog. Brandflaschen. Die im letzten Krieg dafür verwendete Bezeichnung ”Molotow-Cocktail” war bei der Bundeswehr verpönt. Bei späteren Demo´s, Ende der 60-er Jahre, wurden sie dann als “Molli´s” bezeichnet. Ich hoffe nur, daß das beim Bund erworbenes Fachwissen nicht mißbraucht wurde.
Als Panzerabwehrspezialist tat sich der Zugführer des II. Zuges, Leutnant Flach, hervor. Sein Leib- und Magenspruch war stets: „Wir knacken jeden Russenpanzer mit meiner Flach-Zange, Ha ha ha!“

Zeitvertreib während der Feuerwache
(mit den Funkern Damm, Freitag und Kracht)

Jedes Wochenende mußte eine Gruppe der Ausbildungskompanie Feuerwache schieben. Entweder im Wechsel oder als erzieherische Maßnahme für irgendein Fehlverhalten, der Möglichkeiten gab es da genug. Neben der eigentlichen Aufgabe war sie ein willkommenes Exerzierobjekt für manchen frustierten Offizier vom Dienst (OvD), dem das “Raustreten” nicht schnell genug vonstatten ging. Übrigens ist die Bierflasche auf dem Foto nur Deko; es herrschte hierbei absolutes Alkoholverbot.

„Killer oder Dressman?“
(Die sarkastische Antwort auf die Frage,
was die Gesellschaft von uns erwartete.)

Auch die martialische Pose kann nicht darüber hinwegtäuschen, daß unsere Ausrüstung – 10 Jahre nach der Bundeswehrgründung – recht antiquiert war. Der ABC-Schutzmaskenbehälter sah fast immer noch so wie die Gasmaskenbüchse der Wehrmacht aus, und auch das G3-Sturmgewehr gehörte mit seinen Holzschäften zur Beschaffung der ersten Generation. Außerdem hatten wir als Rekruten der Ausbildungskompanie die zweifelhaft Ehre, die alten Uniformen auftragen zu dürfen. Als sogenannte “Affenjacke” wurde die kurze Feldbluse des Dienstanzuges bezeichnet, die durch ihren zivilen Schnitt nicht zum Auffallen des Soldaten in der Öffentlichkeit beitragen sollte. Auf unserem Kasernengelände waren wir aber dadurch für die Soldaten der Einsatzkompanien, die schon lange die neuen Uniformen trugen, von Weitem als Neulinge und Krummfinger („noch krumme Finger vom Schleppen des Zivilkoffers“) kenntlich und unweigerlich deren Spott ausgesetzt.

Verbandsabzeichen der 6. Panzergrenadierdivision
Neumünster

Dieses Abzeichen zierte den linken Ärmel unserer neuen Ausgeh-Uniformjacke. Das hier dargestellte Schneetreiben ist eine Reminiszenz an die Unbilden des Winterwetters, mit denen wir während unserer Grundausbildung ständig zu kämpfen hatten. Dennoch soll es keinen “Gefrierfleisch-Orden” symbolisieren.

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