Irgendwann im Laufe des 8. Schuljahres stellte sich auch mir als 13-ähriger die Frage: „Was wird nach der Schulzeit?“ Eine Sache, mit der ich mich bis dahin kaum beschäftigt hatte. Mein Klassenlehrer Heinz Klein, der auch gleichzeitig der Leiter der Volksschule Woltersdorf war, meinte, ich sollte irgendwas mit Büchern machen – Buchhändler, Buchdrucker oder so. Er führte das wohl darauf zurück, daß ich bereits alle Bücher der Schulbücherei gelesen hatte und er mir deshalb den Zugriff auf seine Privatbibliothek gestattete. Doch die Aussichten auf eine Lehrstelle in dieser Richtung waren in der Kleinstadt Lüchow nicht sehr rosig. Aber der Zufall wollte es, daß mein ehemaliger Mitschüler Ernst-Günther G., der bereits ein Jahr zuvor die Woltersdorfer Schule abgeschlossen hatte, seine jetzige Situation als Lehrling beim Fernmeldeamt Uelzen in den glühendsten Farben schilderte. Davon inspiriert, schrieb ich mit meiner krakeligen Kinderschrift nur zwei Sätze als Bewerbung auf eine einfache Postkarte. (Ich hatte schon damals ´ne Sauklaue, die dann auch mit der einzigen 4 in meinem Abschlußzeugnis geahndet wurde.) Einige Zeit später kam ziemlich überraschend eine Einladung zur Aufnahmeprüfung in Uelzen und zu Hause fiel man aus allen Wolken, denn ich hatte niemanden etwas von meiner Aktion erzählt.
Und so kam es dann, daß für mich am 1. April 1960 der Ernst des Lebens begann …
Die 24 frischgebackenen Fernmeldelehrlinge des 1. Lehrjahres 1960 vor der Ausbildungsbaracke des Fernmeldeamtes Uelzen.
1. Joachim Kracht, 2. Waldemar Sieg, 3. Elmar Dymke, 4. Rolf Büthe, 5. Rüdiger Schröder, 6. Otto Kregel, 7. Jonny Löffler, 8. Jürgen Gillhoff, 9. Werner Brennecke, 10. Uwe Gade, 11. Richard Beinhorn, 12. Hartmut Rusch, 13. Gerd Lasarzik, 14. Gerhard Kümmelberg, 15. Horst Marquardt, 16. Günther Koch, 17. Eberhard Pieper, 18. Klaus Mombächer, 19. Hans-Werner Clasen, 20. Dieter Bittner, 21. Walter Bachmann, 22. Heinz Assmann, 23. Bernd Manderscheid, 24. Peter Werner.
Über jeden Lehrling führte die Ausbildungsstelle ein Tagebuch, in dem die erlernten Tätigkeiten dokumentiert und die Wochenberichte eines Ausbildungsjahres gesammelt wurden.
1960: Unser Ausbilder in der Metallwerkstatt, Dieter „Boss“ Gruhn.
Nicht alle Lehrlinge unseres Ausbildungsjahres kamen aus Uelzen bzw. der näheren Umgebung und so mußten die, die wie ich aus den weiter entfernten Kreisen Soltau, Gifhorn, Wolfsburg und Lüchow-Dannenberg stammten, in einem Wohnheim untergebracht werden. Eigentlich war hierfür das städtische Lehrlingsheim in der Tivolistraße vorgesehen, in dem Fritz Bussler sein Regiment führte. In diesem Haus waren bereits Fernmeldelehrlinge der Ausbildungs-jahrgänge 1958 und 1959 untergebracht und es platzte mittlerweile aus allen Nähten. Da aber eine private Unterbringung seitens der Amtsleitung nicht in Betracht kam – schließlich waren wir ja noch alle minderjährig – wurden wir kurz entschlossen in das naheliegende Mädchenwohnheim der AWO (Arbeiterwohlfahrt, Bezirksverband Hannover) in der Lindenstraße einquartiert. Hier wohnten zu dieser Zeit über 50 weibliche Auszubildende verschiedenster Berufssparten. Unter der strengen Aufsicht der Heimleiterin Dora Walters brachte man uns geschlossen in der obersten Etage unter, die man extra für die Fernmeldelehrlinge geräumt hatte. Zu unserer Betreuung war zusätzlich ein sog. „Kameradschafts-führer”, Herr Albert Kähbein, eingestellt worden, der hauptsächlich dafür Sorge tragen mußte, das Nachts die Etagentür immer gut verschlossen war.
Über jede Arbeitswoche hatten wir einen detaillierten Wochenbericht anzufertigen und am darauffolgenden Montag unserem Ausbilder zum Zensieren vorzulegen. Außerdem mußten die Eltern ihre Kenntnis davon, wöchentlich schriftlich quittieren. Auf der Vorderseite waren täglich die einzelnen Tätigkeiten mit den geleisteten Stunden aufzulisten. Auf der Rückseite hatte man in der Regel eine technische Zeichnung zu erstellen, deren Funktion auf einem gesonderten Blatt in Aufsatzform zu erläutern war. Auch hierfür gab es Zensuren. Das alles war für mich, mit meiner ungeübten Handschrift und meinem mangelnden Zeichentalent, der absolute Horror. Auch zu Hause war man ständig genervt, weil ich diese ungeliebte Arbeit immer bis zum Wochenende aufgeschoben habe.