Gildefotoarchiv33

1989

Das es in der DDR mächtig brodelte, bekamen wir im Herbst 1989 über Funk und Fernsehen täglich frei Haus geliefert. Das Gebäude der ehemaligen Übersee-Funkempfangsstelle (UeFeST) bei Woltersdorf war bereits reichlich mit Ostflüchtlingen gefüllt, die über Polen und Ungarn abgehauen waren.

Bei einer Vorstandssitzung der Woltersdorfer Schützengilde in dieser Zeit, teilte der 1. Vorsitzende Karl Kammradt jun. mit, daß einige Bürger aus unserer Nachbarstadt Salzwedel planten, mit der Woltersdorfer Gilde eine Patenschaft einzugehen.
Der Kontakt war über sogenannte „Reiserentner“ zustande gekommen, die im Zuge des kleinen Grenzverkehrs über den DDR-Grenzübergang Bergen/Dumme unseren Landkreis befahren durften. Es handelte sich in unserem Fall um Angehörige der GST Salzwedel (Gesellschaft für Sport und Technik), die in ihrer Organisation das Sportschießen offiziell weiter betrieben. Die alte Schützengilde Salzwedel von 1475 war bei Kriegsende im Jahr 1945 von den sowjetischen Besatzern verboten worden und sollte evtl. wieder aus der Taufe gehoben werden.
Im Woltersdorfer Gildevorstand wurde beschlossen, die weitere politische Entwicklung abzuwarten, aber die Angelegenheit im Auge zu behalten.

Nach dem Berliner Mauerfall, wurde am 10. November 1989 auch der Bergener Grenzübergang für alle DDR-Bürger geöffnet und unser Landkreis förmlich von Menschen und Trabbi´s überschwemmt. In der allgemeinen Euphorie zog es natürlich viele Lüchow-Dannenberger nach Bergen/Dumme, um ihre Brüder und Schwestern aus der Ostzone gebührend zu empfangen.

Bergen/Dumme am 11. November 1989
Alle blicken gebannt gen Osten in Erwartung der friedvollen „Invasion“.

Richtung Grenzkontrollpunkt gibt´s mittlerweile auch schon Rückreiseverkehr …

… während es sich in Richtung Bergen weiterhin staut.

Der kleine Flecken Bergen ist völlig überlaufen. Viele Ostbürger versuchen, mit ihrem frisch
erhaltenen Begrüßungsgeld (100 DM pro Pers.), begehrte Westwaren zu kaufen.

Das hatte der verträumte Ort bis dahin auch noch nicht gesehen:
Ein Schutzpolizist regelt auf der völlig überlasteten Straßenkreuzung den Verkehr.

Wenige Tage später – praktisch in einer Nacht- und Nebelaktion – entfernten DDR-Bausoldaten einen Teil des Grenzzaunes, der seit Kriegsende die Verbindungsstraße zwischen Volzendorf und Klein Chüden in der Ostzone unterbrach. Der Grenzgraben wurde auf einige Meter zugeschoben und mit Betonplatten vom Kolonnenweg überbrückt. Somit entstand der erste provisorische Grenzübergang in unserem Südkreis, der nächste folgte etwas später bei Lübbow.

Am Grenzgraben bei Volzendorf im November 1989.
Für Wessi´s ohne Visum ist hier immer noch Schluß.
Erst im Januar 1990 kann man „rüber machen“.
(im Bild links: Markus W.)

Da Markus W. aus Woltersdorf zufällig über ein noch nicht abgelaufenes Visum
für den „kleinen Grenzverkehr“ verfügte, schwang er sich spontan in seinen VW-Golf
und reihte sich in den Strom der rückreisenden Ostbürger ein …

… und sorgte so mit seinem Einreisebegehren bei den Grenzkontrollorganen der DDR
für reichliche Verwirrung. Anscheinend war er der erste Westbürger, der diesen
provisorischen Übergang in Richtung Osten passieren wollte. Nach reichlicher Dis-
kussion und nachdem man ihm auch noch die 25 DM Zwangsumtausch abgeknöpft
hatte, ließ man ihn endlich seiner Wege ziehen. Er ist dann am Abend über den
offiziellen Grenzübergang Bergen/D. wieder ausgereist.

Am 19. November 1989 hatten sich anläßlich des Volkstrauertages die Schützengilde Woltersdorf nebst weiteren örtlichen Vereinen und Institutionen vor dem Gefallenen-Ehrenmal an der Feldkirche formiert, um den Toten beider Weltkriege zu gedenken.
Während der Feierstunde fuhren immer mehr Fahrzeuge mit DDR-Kennzeichen auf den Parkplatz vor dem Kirchengelände und die aussteigenden Leute wohnten staunend der Zeremonie bei.
Als Pastor Lothar Asael mitbekam, daß es sich um Menschen aus dem Osten handelte, lud er sie spontan an Ort und Stelle zum Gottesdienst ein.
In anschließenden Gesprächen wurde auch die Bestrebungen zur Wiedergründung der alten Schützengilde Salzwedel von 1475 erörtert.
Dieser Kontakt wurde von nun an gepflegt und gipfelte dann in einer Einladung zum Woltersdorfer Schützenfest.

… und weiter geht´s: